In Szczecin ist alles Ekstraklasa

29. September 2025

Letzten Sonnabend habe ich in Schmachtenhagen bei Berlin ein Exemplar des Heftchens „Nische Fetzn“ bekommen; ein A6-Fanzine aus dem befreundeten Umland, genauer verraten, aus Strausberg. Darin geht es um 33 Jahre Test A, 22 Jahre Oi! The Nische und ähnlich krumme Jubiläen von Bands und Veranstaltern, die uns daran erinnern sollen, was für alte Knacker ohne Senf und Stulle wir schon sind. God´s little helper and I, wir interviewten uns für diese Spezial-Ausgabe gegenseitig, und zwar über acht Seiten, netto ungefähr dreieinhalb Seiten. Der große Layouter und Herausgeber Schubi orientierte sich an Andy W., indem er je zwei Fotos von Ahne und mir ganz oft verwertete. Mensch, hätte Glatzen-Schubi mich gefragt, ich hätte noch etwa 300 Fotos meiner vier Malta-Urlaube rausrücken können. Und ähnliches, und mehr. Im „Nische Fetzn“ gibt es keine Seitenzahlen, keine Kontaktadresse, keinen Preis, und eher selten wird der Artikelschreiber namentlich erwähnt. Tja, andere Generation. Ich bin noch so ein Urvieh, für welches es in Ordnung ist, in derartigen Heftchen mit Klarnamen und Bildchen aufzutauchen. Im aktuellen BFC-Ultra-Heftchen „Der Pionier“ # 3 bin ich übrigens zum zweiten Mal mit der Kolumne „Opa erzählt vom Sieg“ dabei. 4:0 gegen den 1. FC Magdeburg, 1982. Halleluja! Das Heft könnt ihr beim nächsten Heimspiel am 3. Oktober gegen die BSG Sachsenring Zwickau gleich hinter dem Eingang am Banda-Invicta-Stand erwerben. Hat 84 A6-Seiten, kostet 5 Euro. Oder hier: redaktionätbandainvicta.de. In Schmachtenhagen habe ich außerdem noch ne LP von den Rabauken erstanden. „Der Rabauken erster Streich“, für faire 20 Euro zwar, die ist aber lange nicht so gut wie Rocko Schamonis Scheibe „Musik für Jugendliche“. Macht nüscht, ick hab´s dicke. Verdiene ja auch Klimpergeld für meine monatliche Unterklasse-Kolumne. Hier ist die von morgen:

Neulich bin ich mit dem Flix-Bus für einige Tage an das nördliche Ende der Oder gefahren, auch um dort den Alltag jenseits des Fußballsonntags mit dem Ekstraklasa-Ostsee-Derby zwischen Pogon Szczecin und Lechia Gdansk zu erleben, und natürlich um die Fan-Freundschaft zwischen Pogon und dem BFC Dynamo zu testen. Ich hatte leider verschwitzt, etwaige Unterklassenpartien ausfindig zu machen. Die Innenstadt ist jedenfalls schön und friedlich. Ich habe sie bei besten Spätsommerbedingungen mehrfach durchschritten. Die meisten Menschen glotzten nicht permanent auf´s Taschentelefon. Bei den Jugendlichen schienen schwarz-weiß Kontraste angesagt zu sein. Ein bisschen Emo. Bruder Alkohol gehörte nicht ins öffentliche Stadtbild. Während des sonntäglichen Kirchgangs sahen die Einheimischen aus, als gingen sie auf ein Konzert von Czerwone Gitary. Danach legten sie die blau-weinroten Pogon-Farben an und pilgerten ins Stadion. In den umliegenden gastronomischen Einrichtungen wurde nicht so viel gesoffen wie ich es aus Deutschland kenne. Am Stadioneingang löste mein Code auf der Karte erst beim dritten Versuch den gewünschten Effekt am Drehkreuz aus. Aber das kannte ich aus dem Berliner Olympiastadion. Alles gut. Sehr gefährlich sind in den Stadionblöcken die unterschiedlich hohen Treppenstufen. Pogon, der Klub ohne Titelgewinne, hat die internationalen Plätze im Visier. Nach neun Spieltagen trödelt man noch im Mittelfeld der Tabelle vor sich hin, doch die Neuverpflichtungen lassen hoffen. Sam Greenwood kam von Leeds United und Paul Mukairo vom FC Kopenhagen. Pogon wirtschaftet solide. Die unruhigen Zeiten mit den dauernden Umbrüchen liegen einige Jahre zurück. Man kickt nicht mehr vor wenigen tausend Zuschauern. Gegen Lechia Gdansk kamen 19.000. So viele verzeichnet man auch durchschnittlich. Nachdem der schöne 1:0-Treffer per Seitfallrückzieher nach 23 Minuten gefallen war, glich der Gast aus dem unteren Tabellendrittel nur fünf Minuten später aus. Der Torschütze jubelte aufreizend vor der Heimkurve, fern der mitgereisten 400 Lechia-Fans. Kurz vor der Pause ging Pogon mit 2:1 in Führung. Nach einer Stunde Spielzeit entglitt den Männern vom Haff die Veranstaltung zunehmend. Die Gäste erzielten den Ausgleich, verschossen danach zwar einen Elfer, schraubten aber noch auf 2:4 hoch. Nun setzte die Abwanderung der Ungläubigen ein. Pogon verkürzte in der Nachspielzeit per Elfer auf 3:4. Die freundlichen wie nüchternen Menschen zog es zu den Bussen und Bahnen. Ich gönnte mir einen ausgedehnten Spaziergang, vorbei an Parkanlagen, Gründerzeitbauten und Konsumtempeln. Unterklassenplätze habe ich nicht entdeckt. Nach einigen Tagen wieder in Berlin per Bus angekommen, lief ich auf dem Alex quer über den Platz zur Straßenbahn, und sah binnen jener zwei Fußwegminuten mehr menschliches Elend als während meiner ersten 24 Jahre, die ich in der DDR erlebte. Wahrscheinlich sind einige polnische Touristen gleich in den Flix-Bus zurück geflüchtet.

Weichreite TVs bester Beitrag

29. September 2025

Schön, als die AfD Niedersachsen neulich performte, wie die Kommunikation sonst nur hinter den Kulissen abläuft, bei wohl jeder Partei.

Grüße aus Kressmannsdorf

1. September 2025

Gestern bin ich mit dem Rad für´n Sucuk, ´ne Fassbrause und ´n Drittliga-Frauenderby von Prenzlauer Berg zum Kreuzberger Katzbach gefahren. War warm genug. Input gab´s jede Menge. Ich konnte in meinen 2.500 Zeichen gar nichts über die Herren-Spiele von Türkiyemspor gegen TeBe, Hertha BSC und BFC Dynamo unterbringen. Nun denn, schon heute wissen, was morgen in der jungen Welt steht, noch mit Rechtschreibfehlern. Ach, und all diese Artikelchen gibt es, da sie bei der Zeitung nach einigen Wochen nicht mehr einsehbar sind, hier unter Zeitungen.

Sonntag, 14 Uhr, erster Spieltag der drittklassigen Regionalliga Nordost. Es steigt ein Berliner Derby der Frauen: Türkiyemspor gegen Hertha BSC. Das Willy-Kressmann-Stadion im Viktoriapark wurde nach dem SPD-Mann benannt, der von 1949 bis 1962 als Bezirksbürgermeister in Kreuzberg agierte. Nach dem 2. Weltkrieg reiste er als erster deutscher Politiker auf offizielle Einladung in die USA, wo er einen weißen Stetson erwarb. Den trug er auch in Berlin, worauf man ihn Texas-Willy nannte. Und Kreuzberg hieß für einige Berliner nur Kressmannsdorf. Der Eintritt zum Spiel wurde für schmale fünf Euro gewährt, und wenn man demnächst zehn Cent Kulturbeitrag rauf schlägt, können sogar die Torlatten und Pfosten frisch angestrichen werden. Prima. Unter den etwa 250 Zuschauern gab es drei Dutzend lautstarke Hertha-Fans, die sich hinter der Gästebank eingefunden hatten. Schön, dass sie ihre Banner mit den Aufschriften „Westend Girls“ und „Donna Hertha“ zeigten. Nicht so schön, dass sie Trommel und Megafon mitgebracht hatten. Es schepperte: „Hier kommt Hertha / scheißt euch in die Hosen / die Kurve ist am Toben / gemeinsam holen wir uns den Sieg!“ Ich hatte weniger Bedenken um mein Gedärm, sondern eher um mein Gehör. Türkiyemspor trat im schicken Dunkelblau an. Hertha in Neongelb. Den Frauen steht diese Farbe der Auswärtskollektion besser als den Herren. Und sie sollten damit auch punkten. Herthas Frauen wollen in die 2. Bundesliga aufsteigen. Nunmehr mit neuem Trainer, Tobias „Kurbel“ Kurbjuweit, Sohn der FC-Carl-Zeiss-Jena-Legende Lothar, welche es unter anderem zu 66 Einsätzen in der DDR-Nationalmannschaft gebracht hatte. Die Hertha-Mädels waren am Ende der abgelaufenen Saison Zweite geworden, hinter den Lokalrivalinnen von Viktoria. Türkiyemspor landete im 12er-Feld auf Rang 9. Das Spiel verlief außerordentlich fair, die Gäste kämpften sich allerdings filigraner zum gegnerischen Tor vor. Nach einer halben Stunde begannen sie im gefühlten Zehnminutenabstand ihre Tore zu erzielen, durch Lotte Reimold (31.), Elfie Wellhausen (40.), Johanna Seifert (50.) und Amelie Blättner (76.). Die Fans skandierten: „Willst du Hertha siegen sehen / musst du zu den Frauen gehen!“ Mitunter ergaben sich nette Gespräche mit Vertretern des familiären Anhangs der Spielerinnen. Am 6. September steigt ab 15 Uhr im Amateurstadion, unweit vom Olympiastadion, Herthas Spitzenspiel gegen RB Leipzig II, deren Spielerinnen in der Vorsaison Dritte wurden. Den Auftakt gegen Carl-Zeiss Jena II haben die Messestädterinnen 2:3 verloren. Es gibt, wie bei den Männern, fünf Staffeln der Regionalliga: Nordost, Nord, Süd, West und Südwest. Bei den Frauen steigen am Ende dieser Saison aber alle Spitzenreiterinnen direkt auf.

Sie waren einfach nicht von uns

4. August 2025

Meine Unterklassen-Kolumne für die junge Welt von morgen:

Ich wurde 1965 in Berlin geboren, unweit vom einstigen Exerzierplatz der preußischen Armee, aber ich schaffte es bisher noch nie, ein Spiel der seit den 1930ern nahezu alljährlich ausgetragenen Bezirksmeisterschaft in Prenzlauer Berg bzw. Pankows zu besuchen. Es geht um den traditionsreichen Exer-Pokal. Immerhin jagten wir dort selbst dem Ball nach, auf dem Falkplatz, oder auf einem der nahen Empor-Areale. Wir waren Straßenfußballer und Schulfreunde aus dem Meisterkiez, rund um dem Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark. Zum Leidwesen unserer Eltern spielten wir auch in den teuren Straßenschuhen auf der Stoppelwiese nahe der Mauer, und nahmen die Lederpflaume voll Pieke. Es kam vor, dass unser Ball über das umstrittene Bauwerk gen Wedding flog, und wenig später von einem Grenzsoldaten zurückbefördert wurde, oder auch nicht. Unsere Spiele endeten oft abrupt. Denn auch wenn wir als Hortkinder der 7. Oberschule untereinander sportlich und fair agierten, so brisant konnte es werden, wenn einige Jungs der Nachbarschule, der 8. POS, sich in unser Spielgeschehen integrieren lassen wollten. Tja, schwierig. Wenn wir sie einfach vertrieben, kamen wenig später doppelt so viele angestürmt. Plötzlich purzelten zwei Mannschaften der 7. und eine Zuschauertruppe der 8. POS durcheinander. Die Typen der Nachbarschule waren einfach nicht von uns, und die vom Kollwitzplatz sowieso nicht. Gegen die musste der Falkplatz, bzw. der Exer, zusammenhalten. Und im Ferienlager hatten die Jungs vom Prenzlauer Berg was gegen die aus Weißensee. Lange Rede, kurzer Sinn: Warschauer Pakt gegen NATO. Deshalb stand die Mauer. Die Ergebnisse unserer Spiele wurden in keiner Statistik verewigt. Doch wir lernen, die Lederpflaume einigermaßen kontrolliert mit dem Voll- oder Innenspann zu nehmen. Und wir rannten nicht gleich weg, wenn die hässlichen Sitzenbleiber aus der 8. POS einen auf Black-Sabbath-Army machten. Heutzutage bleibe ich beim Tai-Chi. Zumal ich Altersgenossen kenne, die abwechselnd wegen dem linken oder rechten Knie auf den OP-Tisch müssen. Einige Freunde und Bekannte leben nicht mehr. Jedenfalls fand der Großteil der diesjährigen Spiele um den Exer-Pokal schon statt. In der Vorrunde der A- und B-Gruppe mit je fünf Vereinen wurden die Halbfinalisten ermittelt. Am heutigen Dienstag trifft ab 19 Uhr der SV Blau-Gelb auf Rotation Prenzlauer Berg. Morgen spielen zur selben Zeit der SV Empor II und Pfeffersport gegeneinander. Am Freitag findet ab 19 Uhr das kleine Finale statt, und am Sonnabend steigt ab 15 Uhr das Endspiel. Niemand in Groß-Pankow soll sagen, er hätte es nicht gewusst. Gespielt wird auf dem engen Tesch-Platz, inmitten der Gründerzeitbauten an der Dunckerstraße. Der Eintritt beträgt jeweils 3 Euro. Das Wetter wird so spannend wie die Spiele.

Stell dich an, aber nicht hinten

7. Juli 2025

Ich behaupte: Ein Dutzend Rod-Stewart-Platten gehören in jeden Haushalt, egal ob Rod The Mod als Small oder Big Face oder Solo daherkommt. Bei mir finden sich zehn Alben. Seine letzte dufte Solo-LP ist für mich die „Foolish Behaviour“ von 1980. Danach ging er mir mit Baby Jane und ähnlichem auf den Sack. Das beste am Sommerhit Baby Jane war, dass am Orankesee zwei Freundinnen, mit denen ich auf einer Decke flegelte, so schön mitsangen. 1983, als ich noch ne ähnliche Frisur wie Rod hatte. Messerformschnitt, free version. Nun ja, meine Unterklassen-Kolumne:

Nach der Saison ist vor der Saison, und dazwischen gibt es so einige Testspiele. Vergangenen Sonnabend kam es im Sportforum Hohenschönhausen zum Derby zwischen dem Berliner FC Dynamo und Hertha BSC. Das Spannendste war vorab, wie es mit dem Kartenvorverkauf für das DFB-Pokalspiel zwischen dem BFC und dem VfL Bochum klappen würde. Deshalb rückten viele Fans für das Testspiel, was für 17 Uhr angesetzt worden war, schon gegen 14 Uhr 30 an, weil um diese Zeit die Tageskasse öffnete, und man ab 15 Uhr ins Stadion gelassen wurde, wo am Fan-Artikelstand um einiges später ein tapferer Fan-Betreuer die heißen Tickets gegen große Scheine einzutauschen begann. Only cash, please. „Zwölf Karten hätt´ ick jerne, macht 300 Euro.“ – „Richtich.“ – „Bitte.“ – „Danke.“ Na war doch einfacher als in den ´80ern, wo es galt, an Europapokalkarten zu kommen. Gleich nach mir machte der Tapfere die Kasse kurz zu, denn die ersten Tausender mussten umgebunkert werden. Niemand murrte herum. Erstmal ein Bier im Vereinsheim ziehen, aber welch Schreck, auch hier standen sie wie irre an. Allerdings vor der spontan arrangierten zweiten Kartenkasse, nicht vor den Zapfhähnen. Prima. Es herrschte Disziplin. Kaum jemand drängelte sich vor, getreu der Losung: „Stell dich an, aber nicht hinten!“ Nur noch eine Stunde bis zum Anpfiff bei bestem Biergartenwetter, inmitten des gemischten Publikums. Weinrot-Weiß-Blau. BFC und Hertha, da gibt es keine kollektive Fan-Freundschaft, aber eine friedliche Koexistenz. „Wie wenn de als Blueser mal zum Jazz oder Metal jehst.“ – „Da sind halt andre Leute, die merken, du bist neu.“ – „Bloß keen übertriebenet Jewese.“ Ich überlegte kurz, ob ich den Herthanern an unserem Tisch, den Kauf meiner drei Bochum-Tickets offerieren solle, die ich geordert hatte, ohne genau zu wissen, für welchen meiner dynamischen Freunde genau. Denn viele haben es mit dem Vorverkauf nicht so drauf. Dafür wissen sie mit Computer-Problemen und ähnlich gruseligem Scheiß umzugehen. Doch kaum hatte ich das gedacht, sprach ein Herthaner, er würde sich jetzt nach Pokal-Karten anstellen. Na bitte. Das Karten-kaufen dauerte inzwischen nur unwesentlich länger als das Bier-besorgen. Das anstehende Spiel sollte in wenigen Minuten beginnen. Was durfte man erwarten? Der BFC trat mit einer nahezu neuen Mannschaft an, bei Hertha hielt sich die Fluktuation in Grenzen. Würden die Gastgeber wieder mit einem 0:2 davonkommen, wie vor zwei Jahren? Damals fand das Spiel vor 10.000 Zuschauern im inzwischen abgerissenen großen Stadion im Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark statt, wo derzeit eine „Baustelle“ dem Abwirtschaften des hauptstädtischen Fußballsports gedenkt. Das Stadion im Sportforum ist wiederum nur für 4.000 Zuschauer zugelassen. Ob überhaupt so viele kommen würden? Im Vorfeld war etwas Unmut aufgrund des Preises aufgekommen. So einige Fans verzichteten. „Ey, 20 Euro fürn Testspiel.“ – „Hm, naja.“ – „Lass uns langsam rüber zur Jejenjerade loofen.“

P.S.: Der BFC Dynamo unterlag Hertha BSC 0:6 (0:1) vor offiziell 3.917 Zuschauern.

Lest die Berliner Zeitung

18. Juni 2025

Hier mal ein kurzweiliges Gespräch zwischen zwei Männern. Rund 80 Minuten über einige Medien, mit und ohne Meinung.

Ein Leben ohne Facebook ist möglich

9. Juni 2025

Ich habe ein bisschen aufgeräumt, in der heimischen Wohnung, und im weltweiten Netz. Mal den Fußboden und das Bad geschrubbt, und die farbenfrohen Fußballschals aus dem Schrank, die ich sowieso nicht anziehe, lebensklug über dem Schreibtisch angebracht. Trage nämlich nur noch Seidenschärpen. Da kommt Freude auf. Habe den Zettel- und Aktenkram sortiert, und einiges entsorgt. All die Arbeitsverträge aus den Jahren 1789 bis 2024 zum Beispiel. Und als ob mich das Schicksal dafür belohnen wollte, erledigte ein lustiger Fußballkumpan für mich mit einigen gekonnten Klicks den Ämterkram überaus zufriedenstellend. Ich habe mich am Heimcomputer bei Facebook abgemeldet, dort könnt ihr mich mal. Wobei ich diese Abmeldung auf meinem Taschentelefon noch nicht hinbekommen habe. Manchmal düdelt es und signalisiert, wer wessen Kommentar kommentiert hätte. Im Forum des Grauens lese ich die am meisten frequentierten Threads schon lange nicht mehr. Wo BFC Dynamo draufsteht, sollte nicht zu viel Politik drinnen stecken. Seit September 2024 gebe ich mir das nicht mehr, seitdem ich nahezu jede Woche für 30 Minuten zum Klavierunterricht gehe, und den Stoff „zwischen den Stunden“ zu festigen versuche. Ein Vierteljahr gebe ich mir noch diese Tortour, dann will ich das „Lernen lernen“ gelernt haben, mit den kryptischen Anleitungen im Netz und in den Büchern umzugehen wissen. Wie in der Schule damals, erst das Lesen und Schreiben lernen, mich mit Diktaten und Aufsätzen mühen, um irgendwann meinen Kram zu schreiben. Ob ich noch mal einen Roman schreibe? Mir geht es ohne einen derartigen Sackstand einfach zu gut. Hier ist meine Unterklassen-Kolumne für die morgige junge Welt:

Von Lankwitz bis Verden, überall Wunder


Vor knapp zwei Wochen rollten wir zum Aufstiegsrundenknaller an der Adolf-Jäger-Kampfbahn an. Altona 93 empfing vor 4.700 Zuschauern den SV Hemelingen aus Bremen. Blöderweise parkte der Gästespielerbus direkt vor dem Biergarten der Einheimischen, was von den AFC-Anhängern mit einer sensationellen Gelassenheit hingenommen wurde. Seit über zehn Jahren gilt dieser Platz als Parkie, das fällt aber nicht auf, weil in der fünftklassigen S-Bahn-Liga Hamburg niemand mit dem Spielerbus anrückt. Jedenfalls kämpften vier Vereine um einen der ersten beiden Plätze, um in die viertklassige Regionalliga Nord aufzusteigen; neben den Erwähnten waren das noch der Heider SV aus Schleswig-Holstein und der FC Schöningen aus Niedersachsen. Letzterer ging als Zweitplatzierter seiner Staffel ins Rennen, da sich der Hannoverscher SC als Meister bereits qualifiziert hatte. Zwischen dem AFC und dem SVH ging es kampfbetont zur Sache. Zweimal führte die Heimmannschaft, doch kurz vor Schluss fraß man den 2:2-Ausgleich. Einige Tage später nahm das Unglück seinen Lauf, der AFC verlor als namhafter Gruppenfavorit beim Heider SV schmeichelhaft mit 2:1. Der FC Schöningen dagegen hatte mit seinem zweiten Sieg bereits das Aufstiegsticket gelöst. 2:1 gegen Heide, 4:0 in Hemingen. Verrückte Welt. Einen Tag zuvor traf in Berlin-Lankwitz der BFC Preussen auf Eintracht Mahlsdorf. Die Gäste führten knapp in der fünftklassigen Oberliga NOFV-Nord. Ein Unentschieden genügte ihnen für den direkten Aufstieg in die Regionalliga Nordost. In der 95. Spielminute knallte der Fernschuss eines Preussen von der Lattenunterkante auf die Torlinie und von dort aus zurück ins Spielfeld. Der Linienrichter signalisierte per Tatsachenentscheidung auf Tor, auch ein später aufgetauchtes Video sollte den Eindruck vermitteln, der Ball wäre zum 1:0 hinter der Linie gewesen. Nur ein Fake? Auf der Seite vom Postillion gab es ein Foto, auf dem sich der Ball sogar hinter dem Tor befand. Derart eingestimmt, nahmen wir am letzten Mittwoch die Mini-Chance von Altona 93 ins Visier. Am dritten und letzten Spieltag musste auf neutralem Boden in Verden gegen Schöningen gewonnen werden, während Heide in Hamburg gegen Hemelingen eben nicht drei Punkte einfahren durfte. Das Wunder von Verden wurde per 2:0-Sieg bewerkstelligt, während an der Elbe kein Tor fiel. In der kommenden Saison werden in Altona die Gästebusse aus Lübeck, Meppen und Emden müffelnd und protzend vor der Kampfbahn parken. Oh je.